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Prävention Aktuell

Text, Redaktion und Videos: Jessika Bohrer
Fotos: Ludger Staudinger

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Frauen im Handwerk

Alien im Autohaus

von Jessika Bohrer

Du kannst alles machen, worauf du Bock hast!

Das hat ihr ihre Mutter schon früh eingeschärft und ihr so den Rücken gestärkt. Vor 20 Jahren hat Anne Althaus-Braun Bock aufs Schrauben und beginnt eine Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin – das passt zu ihr, sagen Familie und Freunde über die technikbegeisterte junge Frau.

Mit 18 wohnte ich schon alleine und hatte mein erstes eigenes Auto. Eine richtige Schrottmühle. Ich musste Geld verdienen und es war einfach cool, selbst am eigenen Auto schrauben zu können

erklärt Anne Althaus-Braun heute ihre Berufswahl.

Köpfchen und Muskelkraft

Leicht war der Einstieg aber nicht. Circa 50 Bewerbungen hatte die junge Frau verschickt, um eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Zurück kam nur die Einladung zu einem einzigen Bewerbungsgespräch. Diese Ausbildungsstelle schnappte sie sich dann aber direkt. Eine Frau in der Werkstatt war für manche Ausbildungsbetriebe damals anscheinend nur schwer vorstellbar. Für die junge Auszubildende war jedoch ganz klar, dass sie dort genau am richtigen Platz ist. Das wollte sie auch unter Beweis stellen.

Im Laufe ihrer dreieinhalbjährigen Ausbildung übernahm sie viele abwechslungsreiche Aufgaben, die sowohl Köpfchen als auch Muskelkraft erfordern. Während Inspektionen, das Nachfüllen von Aggregaten oder die Fehlersuche körperlich wenig anstrengend sind, gehen Radwechsel oder der Aus- und Einbau von Teilen auf Muskeln, die vorher nicht beansprucht wurden.

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Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und das viele Stehen

„Ist das nicht zu schwer für dich?“ ist eine Frage, die sich viele Frauen und Mädchen anhören müssen, die sich für einen handwerklichen Beruf wie den Kfz-Bereich entscheiden. „Bei einem Pflegeberuf, bei dem man manchmal schwere, bettlägerige Menschen ganz alleine anheben muss, fragt das auch keiner. Dabei sollte jedem bewusst sein, dass kein Werkstattarbeiter einen Motor alleine schleppen muss“, betont Anne Althaus-Braun.

In der Werkstatt gibt es Kräne und Hebehilfen für schwere Autoteile. Eine Motorhaube wird zu zweit oder zu dritt ein- und ausgebaut und auch der Reifenwechsel ist meist Teamwork. Was aber ist das Schwierigste bei der Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin? „Am Anfang war die schwierigste Herausforderung das Arbeiten an sich, die Pünktlichkeit und die Verlässlichkeit“, blickt Anne Althaus-Braun auf ihre eigenen Erfahrungen zurück. „Und auch das viele Stehen – aber das ist es ja für alle und nicht nur in meiner Branche.“

Geschützt von Kopf bis Fuß

Trotzdem sind Auszubildenden gewissen Gefährdungen ausgesetzt, gegen die sie von Kopf bis Fuß geschützt werden müssen. Eine Maßnahme ist dabei die persönliche Schutzausrüstung (PSA): Gegen den Lärm haben alle Mitarbeiter einen passenden Gehörschutz parat. Bei der Arbeit mit Gefahrstoffen wie Gasen oder Lacken, stehen Atemschutzmasken und Schutzhandschuhe zur Verfügung. Und ein gut sitzendes Paar Sicherheitsschuhe schützt vor Stößen oder herabfallenden Teilen. „Bei den Auszubildenden ist es nicht schwer, sie dazu zu bringen, die persönliche Schutzausrichtung zu verwenden. Man muss eher darauf achten, dass die Altgesellen ihren Eigenschutz nicht vernachlässigen“, schildert Anne Althaus-Braun.

Kfz-Mechatronikerin mit Stolz

Die Arbeit in der Werkstatt beschreibt sie als „abwechslungsreich, anspruchsvoll und verantwortungsvoll“. Denn neben den handwerklichen Fähigkeiten eignen sich die Auszubildenden darüber hinaus auch viele weitere Kompetenzen an: Sie lernen, Probleme zielorientiert und selbstständig zu lösen, werden verantwortungs- und pflichtbewusst und sie entwickeln Selbstbewusstsein bei der Team- und der Alleinarbeit. Am Anfang der Ausbildung sind die Lernenden meist einem festen Gesellen zugeteilt. Diesem gehen sie zur Hand, sie arbeiten zu und übernehmen immer mehr Teilaufgaben selbst. Ab dem dritten Lehrjahr sind die Auszubildenden dann bereit für eigene Projekte und noch mehr Verantwortung. „Es ist unglaublich schön, wenn man ein Ergebnis hat und am Ende sieht, was man mit eigenen Händen geschafft hat“, sagt Anne Althaus-Braun. Das stärkt das Selbstbewusstsein der jungen Leute. Sie können mit Stolz sagen: Ich werde Kfz-Mechatroniker. Oder eben Kfz-Mechatronikerin.

Einmal Schrauber – immer Schrauber?

Durch die fortlaufende Modernisierung der Fahrzeuge lernen die Auszubildenden viel über Mechanik und Elektronik. Immer mehr Systeme werden von elektronischen Komponenten gesteuert, das betrifft beispielsweise das richtige Auslösen des Airbags oder Fahrerassistenzsysteme wie den Spurhalteassistenten oder das Anti-Blockier-System. Ohne fundierte elektronische Kenntnisse kommt ein „Schrauber“ also gar nicht mehr aus. Weil sich die Automobilbranche weiterhin stark wandelt, bedeutet die Arbeit in der Werkstatt auch nach abgeschlossener Ausbildung einen ständigen Lernprozess. „Mit den E-Fahrzeugen kommt jetzt zum Beispiel die Komponente ‚Starkstrom‘ in die Werkstatt“, erläutert die 39-Jährige. „Viele wissen gar nicht, dass man sich im Kfz-Bereich auch spezialisieren kann: Es wird nicht nur geschraubt. Ich kenne Techniker, die schrauben gar nicht mehr an Fahrzeugen.“

Von der Werkstatt in die Chefetage

„Ich fand es schon immer toll, Sachen zu reparieren und bin total autobegeistert. Für mich war klar, dass ich aus dem Autohaus gar nicht mehr weg will.“

Anne Althaus-Braun

Erst Auszubildende in der Werkstatt, dann als Meisterin Serviceleiterin im Kundendienst und jetzt Teil der Geschäftsführung – Anne Althaus-Braun hat den Aufstieg in der Kfz-Branche geschafft. „Als stellvertretende Geschäftsführerin unterstütze ich jetzt das gesamte ‚Uhrwerk‘ Autohaus, damit alle Teilbereiche miteinander funktionieren. Ich mag die Verantwortung, ich stehe immer mit Leuten in Kontakt und ich kann meinen Herzensprojekten nachgehen“, sagt Anne Althaus-Braun.

Ihre Tätigkeiten als stellvertretende Geschäftsführerin sind nicht weniger abwechslungsreich als die Arbeit in der Werkstatt. Dort arbeitet Anne Althaus-Braun nur noch selten: Wenn benötigt, unterstützt sie den Kundenservice bei der Fahrzeugannahme. Hört der Kunde beispielsweise ein verdächtiges Geräusch bei der Fahrt, sieht sie sich das Fahrzeug mit ihm zusammen an – das geht dann auch im Bürodress. Hauptsächlich unterstützt und vertritt sie den Geschäftsführer im Rechnungs- und Vertragswesen, in der Planung und beim Arbeitsschutz. Dazu gehören das Erstellen von Gefährdungsbeurteilungen, die jährliche Unterweisung der Beschäftigten und die Verwaltung der Gefahrguttransporte. In ihrer Rolle als Gefahrgutbeauftragte muss sie nämlich für einen sicheren Transport der Hochspannungsbatterien für E-Fahrzeuge sorgen.

Das „Frausein“ in der Werkstatt

In der Berufsschule lernte Anne-Althausbraun nur eine andere junge Frau kennen, die sich ebenfalls für die Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin begeistert hatte. „Wenn sich Frauen für ein Handwerk entscheiden, dann sind sie auch richtig gut! Wir haben uns reingehängt und wir hatten die besseren Noten als die Jungs“, betont sie. Die Annahme, dass Männer bessere Handwerker sind, war für sie schon damals unverständlich. Mit ihren zarten Fingern kann sie beispielsweise Schrauben erreichen, für die der Kollege erst mal auseinanderbauen muss.

Trotzdem brachte ihr das „Frausein“ im Handwerk nicht nur Vorteile: „Ich hatte immer eine Art Alien-Status. Manche Kunden haben mich als Gesellin und sogar später als Meisterin heimlich fotografiert, wenn ich was an ihrem Auto repariert oder überprüft habe“, erinnert sie sich. „In der Berufsschule oder in der Werkstatt habe ich jedoch zum Team dazugehört. Untereinander hat es kein Konkurrenzdenken gegeben, wir haben uns gegenseitig respektiert und man war eigentlich immer kumpelig miteinander.“ Unter Kumpels muss Frau sich allerdings auch mal Sprüche anhören, die nicht ganz angemessen sind. Und da man im Handwerk „frei nach Schnauze sprechen kann“, hat die junge Kfz-Azubine auch verbal zurückgeschossen. Dennoch: „An Sexismus kann und sollte man sich nie gewöhnen!

Schubladendenken führt zu Diskriminierung

Als Auszubildende war die Werkstatt für sie ein geschützter Raum, das heißt, dass sie sich von Kunden keine Kommentare anhören musste. Später als Gesellin oder als Meisterin und selbst heute noch kommen aber vereinzelt Blicke oder Sprüche wie: Kann ich den Meister sprechen? „Das passiert aber meist durch Unwissenheit“, zeigt die Kfz-Meisterin Verständnis. Außerdem treffe diese Form der Diskriminierung zwar häufiger Frauen, aber umgekehrt seien auch Männer davon betroffen: „Ein Erzieher bleibt davon auch nicht verschont.“ Als Grund dafür nennt sie „Schubladendenken“.

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Frauen im Handwerk sind auch heute noch rar. Laut Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft waren nur 1,1 Millionen Frauen in Deutschland in einem MINT-Beruf tätig. Damit stellten sie nur 16 Prozent der MINT-Beschäftigten.

Pinke Cupcakes und das Schrauben

Unter Schubladendenken versteht man, eine Sache einer vorgefassten Kategorie zuzuweisen. In ihrem Fall stellen sich die Menschen häufig eine raue Handwerkerin vor, die von morgens bis abends mit Ölflecken verschmutzt ist und das Feierabendbier mit den Zähnen öffnet. Dieses Klischee einer Handwerkerin erfüllt Anne Althaus-Braun aber nicht. Viele sind überrascht, wenn sie bei der Schlüsselübergabe die Highheels, den Lippenstift und den glänzenden Schmuck sehen. „Pinke Cupcakes backen und dann Schrauben gehen, passt für viele Menschen eben nicht zusammen“, erklärt sie. „Dass aber beispielsweise dunkelroter Nagellack perfekt für die Werkstatt ist, bedenkt keiner. Da sieht man den Dreck und die Verfärbungen, die ja durchaus vorkommen können, nämlich nicht.“

Dem Handwerk fehlt der Nachwuchs

Die Branche tut sich – wie eigentlich alle Handwerksberufe – schwer, Nachwuchs zu finden. Laut Anne Althaus-Braun geht das sogar so weit, dass sich mitunter nur drei junge Leute auf eine Ausbildungsstelle bewerben. Den Mangel an Kandidaten erklärt sie damit, dass immer mehr Jugendliche akademische Abschlüsse anstreben, während die Zahl der klassischen Ausbildungen in Betrieben rückläufig ist. Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Juni 2023 untermauern das. Demnach gab es 2021 in Deutschland weit mehr als doppelt so viele Studenten (2,9 Millionen) wie Auszubildende (1,3 Millionen). Ein Grund hierfür könnte das fehlende Wissen über die Aufstiegs- und Karrierechancen im Handwerk sein, mutmaßt Anne Althaus-Braun. Darüber hinaus bewerben sich Frauen fast gar nicht für die Ausbildung.

Wenn die Hälfte der Bevölkerung eine MINT-Ausbildung grundsätzlich ausschließt, dann ist der Pott, aus dem die Azubis kommen, noch kleiner

Anne Althaus-Braun

Nachwuchsförderung auf dem Schulhof

Um dem fehlenden Nachwuchs entgegenzuwirken, verfolgt die zweifache Mutter den Ansatz, aktiv Nachwuchs zu fördern: „Ich gehe an Schulen, die erkannt haben, dass Ausbildungsberufe unter Nachwuchsmangel leiden. Dort stelle ich mich mit einem Wagen auf den Schulhof und zeige den Schülerinnen und Schülern, was so eine Kfz-Ausbildung eigentlich bedeuten kann.“ Spielerisch stellt sie dabei einzelne Aspekte des Werkstattberufs dar. Manchmal lässt sie dafür beispielsweise die Schülerinnen und Schüler in Teams bei einem Reifenwechsel gegeneinander antreten. Dabei leistet sie Aufklärungsarbeit über Karrierechancen und Arbeitsbedingungen.

Ein großes Plus des Kfz-Bereichs ist die Möglichkeit zur guten Work-Life-Balance. Im Handwerk beginnt man morgens und geht nachmittags in den Feierabend. „Bei Schichtarbeit ist das wesentlich schwieriger“, sagt sie. „Wir leisten – bei uns und zumindest in vielen anderen Werkstätten – keine Wochenend- und keine Feiertagsarbeit, das ist nicht nur für junge Menschen attraktiv.“ Ihre Aufklärungsarbeit endet nicht bei den potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern. Oft bedeutet Nachwuchsförderung für Anne Althaus-Braun auch Elterngespräche. „Wenn die Kinder ein Handwerk gar nicht ausprobieren, können sie auch nicht wissen, ob es nicht das Passende für sie ist.“ Daher fordert sie die Eltern oft auf: „Schickt eure Kinder doch einfach mal für eine Woche in den Schulferien bei uns vorbei“ – getreu dem Motto „Probieren geht über Studieren“.

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Ihr Wunsch: Mehr Frauen in der Werkstatt

Und weil viele junge Frauen das Handwerk grundsätzlich ausschließen, widmet sich Anne Althaus-Braun dieser Zielgruppe gerne separat. Ihnen sagt sie dann, dass sie sich finanziell unabhängig von den Eltern und den zukünftigen Partnern machen sollen. Und das geht nur mit einem Job, mit dem Frau die Miete bezahlen kann. Gehalt sollte daher immer zumindest ein Aspekt bei der Berufswahl sein. „Bei den Jungs ist Kfz-Mechatroniker der beliebteste Ausbildungsberuf, das liegt sicher nicht nur an der Work-Life-Balance und dem Gehalt.“ Darum rät Anne Althaus-Braun besonders den Frauen: „Den Beruf einfach mal anschauen!“ Und auch die Werkstatt profitiert von mehr Mitarbeiterinnen. Denn gemischte Teams haben meist einen gepflegteren Umgangston, was sich auch in einer besseren Zusammenarbeit bemerkbar mache.

Doch nicht nur potenzielle Mitarbeiterinnen, auch Kundinnen und deren Sicherheit liegen Anne Althaus-Braun am Herzen: Deshalb bietet sie Frauenworkshops in der Werkstatt des Autohauses an. Nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ lehrt sie, wie Frau sich bei einer Panne oder einem Unfall verhalten soll, wie Frau Flüssigkeiten prüft und nachfüllt oder wie Frau kleine Probleme am Auto gegebenenfalls selbst behandeln kann.