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Exoskelette im Einsatz

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Exoskelette im Einsatz

Allein der Name klingt nach Science Fiction: Exoskelett. Aber diese „Roboteranzüge“ sind schon jetzt Realität. In der Medizin lassen sie querschnittgelähmte Menschen gehen. Im Arbeitsschutz unterstützen sie ihre Träger, indem sie etwa beim Heben oder bei Überkopfarbeiten bestimmte Körperpartien entlasten. Beim Transport- und Logistikdienstleister DB Schenker gehören Exoskelette inzwischen zum Arbeitsalltag.


von Holger Schmidt
und Dominik Buschardt
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DB Schenker sorgt dafür, dass Waren und Güter pünktlich da ankommen, wo sie gebraucht werden. In Augsburg betreibt der Transport- und Logistikdienstleister ein 40.000 Quadratmeter großes Zentrallager für einen namhaften Roboter-Hersteller. Vom Zählen und Einlagern der kleinsten Schraube bis hin zur Auslieferung der fertigen Roboter an die Endkunden – überwiegend aus der Automobilbranche – wickelt DB Schenker die komplette Logistik ab.

Der Alltag sieht so aus: Mitarbeiter scannen und kommissionieren fleißig. Gabelstapler flitzen durch die Halle und bringen Paletten von A nach B. Vieles muss aber noch in Handarbeit erfolgen. Für die Beschäftigten heißt das: Bücken, ein Paket anheben, es zu einer Palette tragen und dort abstellen. Hunderte Male am Tag. Die anstrengende, immer gleiche Abfolge "Bücken – Heben – Tragen" belastet vor allem die Rücken der Mitarbeiter. Die sollen nun entlastet werden. Als einen wertvollen Baustein zur Lösung des Problems setzt das Unternehmen auf Technologie.

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Der Verpacker

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Bei DB Schenker in Augsburg ist Constantin Strobl zuständig für das Bändern und Stretchen. Er macht also die Pakete und Paletten fertig für den Versand. Außerdem ist der Verpacker einer der starken Männer, die die schweren Kartons umpacken. Früher wurden für das Bewältigen der Lasten, die schon einmal 40 Kilogramm und mehr wiegen können, zwei Mitarbeiter gesetzt. Heute hebt und trägt er die Kisten mithilfe eines Exoskeletts allein. Conny möchte Strobl genannt werden – mit dem Paexo Back von Ottobock dürfte er sich manchmal eher wie Conan alias Arnold Schwarzenegger fühlen.

Von der Idee, ein Exoskelett zu benutzen, war der 29-Jährige von Anfang an begeistert. „Ich fand es cool, weil ich es schon aus einer Werbung der Bundeswehr kannte“, erzählt der Hüne. „Ich habe mir vorgestellt, dass es hier sehr gut reinpassen kann.“ Als es so weit war, benötigte er nur eine gute Woche, bis er sich an das Tragen und den Umgang mit der neuen Arbeitshilfe gewöhnt hatte. Conny Strobl zieht das Paexo Back ähnlich an wie einen Rucksack. An der Brust und am Bauch schnallt und zurrt er es fest, zusätzlich auch noch an den Oberschenkeln.

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Aber: Conny Strobl trägt den „Roboteranzug“ nicht während seines gesamten Arbeitstags. Denn bei Tätigkeiten, die über "Bücken – Heben – Tragen" hinausgehen, ist das Exoskelett eher hinderlich. „Bei gewissen Bewegungen zur Seite schränkt es mich ein“, sagt der Verpacker.

Auch bei der Bedienung von Flurförderzeugen sei es unpraktisch. „Beim Ameise-Fahren stoße ich schnell an, weil ich an den Hüften breiter bin“, sagt Strobl. Mit den Schaltern an den Hüften kann Strobl seinen Anzug ein- und ausschalten sowie die Unterstützungsleistung regulieren.

Für das Heben und Tragen von schweren Gegenständen möchte er das Exoskelett aber nicht mehr missen: „Seitdem wir es haben, nutze ich es immer, sobald es etwas Schweres zu tragen gibt.“

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Der Betriebsleiter

DB Schenker geht es mit dem Einsatz der Exoskelette um die Entlastung der Mitarbeiter. Bei der Analyse der Arbeitsplätze in Augsburg kam heraus, dass es vor allem in zwei Bereichen zu besonders vielen Bück- und Hebebewegungen kommt: bei der Verpackung, in der Paletten für den Versand an den Endkunden fertig gemacht werden, und bei der Setbildung, wo die verschiedenen Komponenten für die Fertigstellung des Endprodukts zu einem Paket zusammengestellt werden - und das kann ganz schön viel wiegen.

Aus Sicht von Eugen Mohrlang, Betriebsleiter des Augsburger Zentrallagers, zeigt die innovative Idee mit den Exoskeletten Wirkung, wie er im Video erklärt.

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Es dauerte allerdings eine Weile, bis das Thema in den Köpfen der Beschäftigten ankam und akzeptiert wurde. Nicht alle Mitarbeiter, die im Augsburger Zentrallager im Zweischichtbetrieb arbeiten, waren von Anfang an so aufgeschlossen wie etwa Conny Strobl. Zunächst war – wie bei so vielen Innovationen – Überzeugungsarbeit gefragt, erinnert sich Eugen Mohrlang. „Das hat schon ein bisschen gedauert, das muss man ehrlich zugeben.“ Inzwischen ist die Skepsis aber gewichen.

In Augsburg gibt es die Überlegung, den Einsatz von Exoskeletten auf einen weiteren Arbeitsbereich auszudehnen. Im Wareneingang könnten die Arbeitshilfen bei Umpackvorarbeiten entlasten.

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Der Prozessoptimierer

Die Idee zum Einsatz der Exoskelette war eher zufällig entstanden. DB Schenker arbeitet mit der Universität Dortmund und dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) zusammen. Bei einem Doktorandenwettbewerb stellte das Unternehmen vor drei Jahren den Teilnehmern die Aufgabe, Exoskelette zu prüfen und dazu auch Feedbackgespräche mit Mitarbeitern zu führen. „Wir haben uns vom Fraunhofer-Institut Exoskelette ausgeliehen und an einem Standort von DB Schenker in Köln getestet, wo wir Teile der Logistik für einen großen Automobilhersteller abwickeln“, erklärt Gerald Müller. Als Leiter des Bereichs Industrial Engineering ist er für die Prozessoptimierung bei DB Schenker verantwortlich.

Die Resonanz auf diesen Test war groß, obwohl er nur an einem Tag durchgeführt wurde. „Wir haben uns dann entschlossen, eine Testreihe zu starten“, fügt Müller hinzu. Neben dem Betriebsrat war dafür auch die Maschinenbau-Fakultät der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg mit im Boot, „um wissenschaftlich fundierte Untersuchungen verschiedener Exoskelette durchführen zu können“.

Die Erprobungsphase ist inzwischen beendet. Das Wort „Ergebnis“ möchte Müller aber nicht in den Mund nehmen. Er spricht lieber von einem „Zwischenstand“.

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Allerdings: Die Mitarbeiter müssen das Hilfsmittel Exoskelett richtig anwenden. Sonst besteht die Gefahr, dass es ihrer Gesundheit mehr schadet als hilft. „Wenn sie falsch heben und sich mit Exoskelett für unbesiegbar halten, riskieren sie Verletzungen im Lendenwirbelbereich. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir eine sehr intensive Einführung und ein begleitendes Coaching machen“, betont Gerald Müller.

Die Unterweisungen lässt DB Schenker – wie auch die Wartungen – durch die Experten der Herstellerunternehmen durchführen, die die Exoskelette zudem individuell an die Beschäftigten anpassen. „Unsere Fachkräfte für Arbeitssicherheit werden auch geschult, damit sie einen Blick darauf haben können, bei welchen Prozessen das Exoskelett vorgesehen ist und ob es richtig eingesetzt wird“, erklärt Müller. „Wir achten darauf, dass die Anwendung zum Exoskelett passt, damit wir die Gesundheit unserer Mitarbeiter nicht gefährden.“

Wichtig ist DB Schenker auch der regelmäßige Austausch mit den Herstellern. Dadurch sollen die Exoskelette optimiert werden.

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Arten von Exoskeletten

Exoskelette, die automatisch Daten auslesen, gibt es auf dem Markt bereits. Das Cray X von German Bionic beispielsweise. Es kommt zum Einsatz, wenn die Belastungen besonders hoch sind. Im Rahmen der Containerentladung zum Beispiel, wenn Kartons über ein Förderband transportiert werden und auf Paletten gestapelt werden müssen. Die Hebeentlastung von 30 Kilogramm ist dabei neben der Datenauslesung ein weiterer Pluspunkt des Cray X.

Das Cray X gehört zu den aktiven Exoskeletten. Diese funktionieren über kraftgenerierende Komponenten wie zum Beispiel elektrische Motoren oder pneumatische Antriebe. In der Reha ermöglichen solche Exoskelette querschnittgelähmten Menschen das Gehen. Im Arbeitsumfeld muss sich ihr größerer Nutzen gegenüber passiven Modellen erst noch erweisen.

Im Zentrallager in Augsburg erwies sich der Einsatz angesichts der teilweise beengten Arbeitsplätze in Verpackung und Setbildung als unpraktisch. Zudem wiegt das Cray X fast doppelt so viel wie das vier Kilogramm schwere Paexo Back.

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Bei den passiven Varianten speichern beispielsweise Feder- oder Seilzugsysteme die körpereigenen Kräfte und geben sie zurück. Sie haben eine assistierende Wirkung, etwa bei Tätigkeiten in ergonomisch ungünstigen Haltungen – wozu auch das Kommissionieren in der Logistikbranche zählt.

Das Paexo Back von Ottobock, das in Augsburg eingesetzt wird, ist ein solches passives Exoskelett. Der generelle Nachteil sowohl der aktiven als auch der passiven Modelle: Sie sind etwas sperrig, wenn man sich durch beengte Räume bewegen oder in einen Gabelstapler steigen will.

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Für Anwendungsbereiche, in denen mehr Beweglichkeit gefragt ist, gibt es textile Exoskelette. DB Schenker nutzt beispielsweise das Paexo Soft Back von Ottobock. Die Modelle sehen aus wie breite Gürtel, ähnlich wie sie Kraftsportler tragen. „Die sind flexibel und wiegen weniger als ein Kilogramm“, sagt Gerald Müller. „Aber: Die Hebeunterstützung ist natürlich etwas geringer.“

Dafür sorgen sie für eine ergonomische Haltung und die Entlastung des unteren Rückens, wenn Mitarbeiter beispielsweise Zubehörpakete packen und die Paletten für die Auslieferung vorbereiten. Mine Nalbant gehört zu diesen Beschäftigten, die die textilen Exoskelette nutzen.

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Die Verpackerin

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Es sind aber eben nicht nur die Lasten, bei denen die Exoskelette unterstützen. Arbeiten in ergonomisch ungesunden Haltungen kommen im Arbeitsbereich von Mine Nalbant häufig vor. Während einer Schicht bestückt eine Mitarbeiterin im Durchschnitt 150 Paletten. Pro Palette sind es teilweise bis zu 20 Pakete, die in größere Kartons gehievt und gestellt werden müssen.

Man kann sich vorstellen: Die Beschäftigten müssen sich oft bücken. „Eigentlich die ganz Zeit“, sagt Mine Nalbant. Und das geht – zusammen mit dem Heben und Tragen der Pakete sowie des restlichen Zubehörs – ganz schön auf den Rücken. Oder vielmehr: Es ging auf den Rücken. Denn jetzt hat die Verpackerin ja das Exoskelett, wie sie im Video erzählt.

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Nachteile? Sieht Mine Nalbant keine. „Eigentlich nur Vorteile“, sagt Mine Nalbant. Außer dass es im Sommer mal ziemlich warm werden kann unter dem „Gürtel“.

Einen netten, wenn auch unbeabsichtigten positiven Nebeneffekt gibt es sogar noch: Wenn sich Mine Nalbant über ein Paket beugt, um es zu beladen, ist der Rand des Kartons oft auf Höhe ihres Bauches – jetzt drückt ihr der Rand nicht mehr ins Fleisch, denn dort ist sie durch das textile Exoskelett geschützt.

Sie ist jedenfalls inzwischen angetan davon, wenngleich auch sie anfangs zu den Skeptikern gehörte, wie sie verrät.

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Der Gesundheitsmanager

Auf solch positive Rückmeldungen ihrer Mitarbeiter setzen die Führungskräfte von DB Schenker. Und sie sind darauf angewiesen. Ansonsten würden sich innovative Ideen wie der Einsatz von Exoskeletten nicht in die Arbeitsabläufe integrieren lassen, weiß Frank Stehn. Er ist am Standort Nürnberg Betriebsratsvorsitzender und bei DB Schenker Deutschland für das Gesundheitsmanagement verantwortlich.

Für die Akzeptanz der Exoskelette sei es wichtig, die Beschäftigten mitzunehmen und zu überzeugen. „Man muss den Einsatz gut vorbereiten und es den Menschen nahebringen“, sagt Stehn. Dafür erkläre man ihnen, dass der Einsatz von Exoskeletten als Präventionsmaßnahme wichtig sei, um Muskel-Skelett-Erkrankungen gar nicht erst entstehen zu lassen.

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Am liebsten wären dem Gesundheitsmanager technische Lösungen. Denn Exoskelette werden bei DB Schenker nach dem TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes (technisch, organisatorisch, personenbezogen) als letztes Mittel behandelt, auch wenn sich nicht zur persönlichen Schutzausrüstung (PSA) gehören: Erst wenn der Prozess technisch nicht (teil-)automatisiert oder die Arbeit organisatorisch nicht anders gelöst werden kann, kommen sie zum Einsatz.

Frank Stehn weiß aber auch, dass es in der Logistikbranche Grenzen der Technisierung und Automatisierung gibt. Nicht überall können Gabelstapler zum Einsatz kommen, vieles muss beispielsweise noch händisch entladen werden. Er nennt das Beispiel der Seefrachtcontainer. 400 bis 600 Packstücke müssten palettisiert werden, mit einem Gesamtgewicht von „locker 20 bis 24 Tonnen“, führt Stehn aus. „Damit arbeiten wir täglich. Und es gibt wenige Hilfsmittel.“ Eines davon sind Exoskelette. Und die sollten Teil eines stimmigen Gesamtkonzeptes zum Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten sein.

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