von Holger Schmidt
Bei Arbeiten in der Höhe spielt eine Gefährdung natürlich eine besonders große Rolle: der Absturz! Wer dann – buchstäblich – in den Seilen hängt, muss schnell gerettet werden. Sonst droht das lebensbedrohliche Hängetrauma. PRÄVENTION AKTUELL hat sich auf einem Funkturm angeschaut, wie eine Höhenrettungsübung abläuft.
Am Ort des Geschehens weht ein frischer, teilweise kräftiger Wind. Kein Wunder, ist der Ort doch der Nürnberger Fernmeldeturm. Und der ist mit exakt 292,8 Metern das höchste Gebäude Bayerns – 70 Zentimeter höher als der Olympiaturm in München.
Unten ist die fränkische Stadt mit der Kaiserburg und der von Kirchen gesäumten, mittelalterlichen Altstadt zu sehen. Oben, auf einer Plattform in etwa 200 Metern Höhe, machen sich die Höhenretter bereit für die Übung.
Unerlässlich ist die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA). Für alle Beschäftigten, die in der Höhe arbeiten, ist sie Pflicht.
Zu den „normalen“ PSA-Elementen gehören die stabilen Sicherheitsschuhe mit rutschhemmender Sohle. Ein Sicherheitshelm schützt die Arbeiter bei Abstürzen – damit der Kopf im Falle der Bewusstlosigkeit nirgendwo gegenschlägt. Außerdem beugt er Verletzungen vor, sollte einem weiter oben arbeitenden Kollegen ein Werkzeug aus der Hand oder der Tasche fallen. Auch Handschuhe gehören zur Ausstattung, damit die Arbeiter gut und sicher zupacken können. Nicht nur, um sich an der Leiter festzuhalten, sondern auch, um das Material besser greifen zu können. Bei der Rettung werden sie ebenfalls eine Rolle spielen.
Dirk Zinn von der Deutschen Funkturm GmbH sowie die erfahrenen Höhenretter Reinhold Lämmermann und Kevin Seitz vom Arbeits- und Gesundheitsschutzdienstleister BAD GmbH haben sich inzwischen in Schale geworfen. Zu den spezifischen Elementen, die eine PSA gegen Absturz von gewöhnlicher PSA unterscheidet, gehört der Auffanggurt mit Ösen an der Brust, am Bauch und am Rücken.
Außerdem Karabinerhaken und verschiedene Seile. Da wäre das Sicherungsseil, das es in verschiedenen Längen gibt und das über eine Falldämpfung verfügt. „Damit die Kraft, die auf den Körper wirkt, im Absturzfall auf vier Kilonewton begrenzt ist – mehr würde der menschliche Körper nicht aushalten“, erklärt Lämmermann. Und da wäre das Arbeits- und Halteseil, das die Beschäftigten verwenden, wenn sie ihre Arbeitsposition erreicht haben.
Außerdem Karabinerhaken und verschiedene Seile. Da wäre das Sicherungsseil, das es in verschiedenen Längen gibt und das über eine Falldämpfung verfügt. „Damit die Kraft, die auf den Körper wirkt, im Absturzfall auf vier Kilonewton begrenzt ist – mehr würde der menschliche Körper nicht aushalten“, erklärt Lämmermann. Und da wäre das Arbeits- und Halteseil, das die Beschäftigten verwenden, wenn sie ihre Arbeitsposition erreicht haben.
Zum Auffangsystem gehört auch ein Steigschutzläufer (auch Fallschutzläufer genannt), den der Arbeiter in die Brustöse seines Auffanggurts einhakt. Der Läufer ist eine Art metallischer Schlitten, der in eine Schiene in der Mitte der Leiter eingesetzt wird.
Der Arbeiter kann den Läufer dann nach oben und unten entlang der Leiter verschieben. Rutscht der Arbeiter von der Leiter ab oder kippt nach hinten weg, löst die Bremse des Steigschutzläufers aus und verhindert einen rasanten Absturz nach unten. „Der Gurt fängt uns so auf, dass wir sicher an der Leiter verharren – auch wenn wir ohnmächtig werden sollten“, erklärt Kevin Seitz.
Bei der Rettung ist Eile geboten. Spätestens nach 20 Minuten, besser früher, sollte ein Verletzter geborgen und dem Rettungsdienst übergeben sein. Der Grund dafür hat einen Namen: Hängetrauma.
Hängt eine Person längere Zeit bewegungslos in seiner PSAgA, versackt das Blut in den Beinen, weil die sogenannte „Muskelpumpe“ der Beinmuskulatur ausfällt. Es fließt weniger Blut zum Herzen zurück, somit kann das Herz auch weniger Blut durch den Körper pumpen. Der Blutdruck sinkt zunächst rapide, was zu Schwindel und Ohnmacht führen kann.
Als Reaktion versucht der Organismus, den niedrigen Blutdruck auszugleichen, indem er den Herzschlag deutlich erhöht. Das reicht jedoch nicht immer aus, um den Blutdruck stabil zu halten. Ein Kreislaufkollaps droht. Schon nach 20 Minuten Hängetrauma können aufgrund der Unterversorgung von Gewebe und Organen Nervenschäden auftreten. Eine Stunde in hängender Position würde der Verletzte nicht überleben.
Kevin Seitz schlüpft in die Rolle des Retters. Sein BAD-Ausbilderkollege Reinhold Lämmermann mimt derweil den Verunfallten. Es ist das erste Szenario der Übung: Lämmermann hat einen Schwächeanfall erlitten und hängt nun – scheinbar ohnmächtig – an der Leiter. Was er als Retter nun tun muss, erklärt Seitz selbst.
In der Realität kann der Weg nach oben schon mal 50, 100 oder gar 150 Meter lang sein. Hier muss Seitz nur einige Meter emporklettern. Seine Aufgabe ist es, ein Rettungsgerät über Lämmermann anzubringen, den Patienten umzusichern und am Rettungsgerät zu verbinden. So kann er ihn dann abseilen, das funktioniert aus bis zu 160 Metern.
Für Kevin Seitz kommt es nun auf zwei Dinge an, die sich eigentlich ausschließen: Er muss einerseits die Ruhe bewahren. Andererseits muss er sich beeilen, um dem inzwischen Bewusstlosen zu Hilfe zu kommen. Er hängt also den Steigschutzläufer ein, sichert sich – und dann kann es auch schon losgehen.
Mehr als 89.000 Antennenstandorte gab es laut Bundesnetzagentur Ende 2023 in Deutschland. Die DFMG Deutsche Funkturm GmbH, eine Tochter der Deutschen Telekom, betreibt alleine 35.200 dieser Standorte. Der Nürnberger Fernmeldeturm ist nur einer davon. Zudem gibt es Funkmasten, Dachstandorte auf Häusern, Büros und anderen Gebäuden sowie sogenannte Small Cells. Die kleinen, unscheinbaren, rechteckigen Kästen können an Hauswänden, Ampeln, Bushaltestellen oder Laternen angebracht werden, um an Orten mit hohem Verkehrsaufkommen die Mobilfunkversorgung zu verbessern. Insgesamt also eine Menge Arbeit in der Höhe. Und damit verbunden auch immer die Gefahr von Arbeitsunfällen wie Abstürzen.
Die Beschäftigten benötigen deshalb eine Steigeberechtigung, sie müssen also für die Arbeit in der Höhe und in der Personenrettung ausgebildet sein, Erste Hilfe beherrschen und die arbeitsmedizinische Untersuchung bestehen (nach den DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen „Arbeiten mit Absturzgefahr“ – früher G 41).
Das gilt auch für Dirk Zinn. „Die Auffrischungslehrgänge müssen wir jedes Jahr machen“, sagt er. „Da üben wir dann Fälle wie heute.“ Als Objektverantwortlicher ist er für Sicherheitsaspekte an 26 der großen, komplexen Standorte der Deutschen Funkturm GmbH zuständig. „Dazu gehören bautechnische Begehungen, wenn Kunden etwas Neues bauen oder installieren möchten. Aber auch die Aufsicht über Bauarbeiten“, erklärt er.
Abstürze gehören zu den tödlichsten Unfallgefahren bei der Arbeit. Im Jahr 2022 wurden laut Deutscher Gesetzlicher Unfallversicherung (DGUV) 66 von insgesamt 423 der tödlichen Arbeitsunfälle durch Absturz verursacht. Das entspricht 16 Prozent.
Dabei stehen die meisten tödlichen Absturzunfälle in Zusammenhang mit Arbeiten an und auf Dächern und zugehörigen baulichen Einrichtungen. Die Nutzung von Leitern ist verantwortlich für die Mehrzahl der nicht-tödlichen Absturzunfälle. Durchschnittlich knapp 40.000 Absturzunfälle zählt die DGUV jedes Jahr.
Einen tatsächlichen Absturz haben die drei Männer, die in Nürnberg die Höhenrettung trainieren, noch nicht miterlebt. Aber sie müssen für den Ernstfall gewappnet sein - eben weil Abstürze so gefährlich sind. Im zweiten Szenario ist ein Mitarbeiter von der Kante der Plattform abgestürzt und hängt in seinem Auffanggurt. Wieder droht das Hängetrauma.
Bei dieser Übung muss niemand in die Rolle des Verletzten schlüpfen. Der „Darsteller“ ist eine 50 Kilogramm schwere Puppe. Der Dummy baumelt also am Turm herunter.
Reinhold Lämmermann ruft die Feuerwehr. Wäre es ein Ernstfall, würde er es auch so handhaben. Dann würde er den Rettungsdienst darüber informieren, dass ein Notfall vorliegt und sich die Einsatzkräfte schnell auf den Weg machen sollen. Nachdem er mit einem Kollegen den Verunfallten geborgen und erstversorgt hätte, würde der Rettungsdienst übernehmen. In unserem Fall muss er die Feuerwehr allerdings nur informieren, dass gerade eine Übung stattfindet. Nicht dass jemand die Rettungskräfte alarmiert, weil er den Dummy für einen echten Menschen hält!
Auch hier wird es wieder auf das Rettungsgerät ankommen. Darüber hinaus benötigen die Arbeiter aber weitere Hilfsmittel wie eine Seilklemme, um den Abgestürzten anzuheben, umzusichern und abzuseilen. Und: Sie müssen insgesamt zu dritt sein, damit die Rettung funktioniert. Als Faustregel gilt: Für Arbeiten in der Höhe müssen immer so viele Personen anwesend sein, wie für eine Rettung erforderlich sind.
Die Höhenretter sichern sich zunächst selbst. Rund um das Gebäude verläuft ein Sicherungsring. Der dient als Anschlageinrichtung, wie es im Fachjargon heißt. Daran ist das Sicherungsseil befestigt, das wiederum mit der Rückenöse ihrer Auffanggurte verbunden ist. Mit einem Seilkürzer stellen die Retter die Länge des Sicherungsseils so ein, dass sie genau bis zur Kante gelangen können, aber zurückgehalten werden, sollten sie stolpern und abzustürzen drohen.
Alle Arbeiter, die mit weniger als zwei Metern Abstand zu einer Absturzkante tätig sind, müssen sich mit einem solchen Rückhaltesystem sichern. Das sollte sie vor Abstürzen schützen – dem Dummy ist es trotzdem passiert.
Theoretisch wäre es auch möglich, den Dummy nach oben zu bergen. „Das ist nur sinnvoll, wenn ich beispielsweise einen Aufzug habe, um ihn vom Gebäude abtransportieren zu können“, so Lämmermann. Ansonsten wäre der Verletzte oben auf der Plattform „gestrandet“ und für den Rettungsdienst nicht erreichbar. Stattdessen geht es also nach unten. Im Ernstfall zum Fuße des Turms, im Übungsfall aber nur eine Plattform tiefer. Reinhold Lämmermann erklärt im Video, wie Dirk Zinn und Kevin Seitz die Rettung durchführen.
Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes würde Kevin Seitz im Ernstfall Erste Hilfe leisten – also beispielsweise stabile Seitenlage, sollte der Verletzte bewusstlos sein und normal atmen, oder Herz-Lungen-Wiederbelebung, sollte er beim Bewusstlosen keine Atmung feststellen. Hier aber gilt: Übung beendet, der verunfallte Kollege ist gerettet!