Schreibmaschine - Internet - Corona
Erst kamen der wirtschaftliche und technologische Fortschritt, zuletzt eine Pandemie. Drei Einschnitte hatten besonders großen Einfluss auf die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten. PRÄVENTION AKTUELL zeichnet den Weg der Büroarbeit nach – von ihren Anfängen bis heute. Und wir wagen auch einen kleinen Ausblick.
von Holger Schmidt
Morgens ins Büro fahren, nach dem Feierabend wieder nach Hause – das ist für den Großteil der arbeitenden Bevölkerung Normalität. Bis dahin war es aber ein weiter Weg. Die Ursprünge gehen zurück bis ins vierte Jahrtausend vor Christus. Sumerische Schreiber ritzten Keilschriften in Tontafeln, die Ägypter verwendeten Hieroglyphen an den Wänden ihrer Pyramiden und – wie auch die Römer – auf Papyrusrollen.
Im Mittelalter vervielfältigten Mönche in ihren klösterlichen Schreibstuben (Skriptorien) Manuskripte und Bücher. Daher stammt der heutige Begriff „Büro“. Links und rechts zwei Holzböcke, darauf raue Bretter – fertig war der mittelalterliche Schreibtisch.
Um die kostbaren Bücher zu schonen, spannten die Mönche darüber als Unterlage ihre Kutte – der Stoff, aus dem sie besteht, wird Burra genannt. Die Franzosen leiteten daraus ihr „Bureau“ ab, womit dort entweder immer noch der Schreibtisch oder auch das Büro als Ort gemeint sein kann. So fand der Begriff schließlich den Weg nach Deutschland und ersetzte als Lehnwort zunächst die Amtsstube – bis die Bedeutung beim heute gebräuchlichen Büro ankam.
Ob nun Sumerer, Ägypter, Römer oder Mönche – sie alle einte ein Ziel: die Weitergabe von Wissen. Genau das, kennzeichnet auch bis heute die moderne Büroarbeit, nämlich die Erstellung, Aufbereitung und Übermittlung von Informationen.
„Wenn man unter Büroarbeit Aufzeichnungen über Geschäfte versteht, gibt es sie, seit es Handel gibt“, weiß Bernd Holtwick, stellvertretender Leiter der „DASA Arbeitswelt Ausstellung“ in Dortmund. „Schon die ersten Tontafeln sind in der Regel Geschäftstafeln, auf denen Warenmengen und Quittungen festgehalten wurden.“
In der vorindustriellen Zeit sind Kanzlisten dann die Alleskönner, meist mit juristischer Qualifikation. Sie vermögen es zu rechnen, zu lesen und zu schreiben. „Was wir heute unter Büroarbeit verstehen, ist aber vergleichsweise jung und erst mit der Industrialisierung entstanden“, sagt Holtwick.
Eine ausdifferenzierte Verwaltungsarbeit entsteht in Deutschland im späten 19. Jahrhundert mit den größer werdenden Betrieben und den komplexeren Abläufen, die das Wachstum mit sich bringt. Leitende Angestellte bekommen in Fabriken und Kontoren mit den Büros eigene Räume, in denen sie buchhalterischen Aufgaben nachkommen, Rechnungen erstellen und komplette Geschäftsabläufe dokumentieren können. Was wird wie produziert? Welches Material wird in welcher Menge benötigt? „Die leitenden Angestellten überblicken und verstehen sämtliche Vorgänge. Die anderen arbeiten mechanisch zu“, erklärt Bernd Holtwick.
Vor allem aber grenzt das Büro Verwaltung und Produktion räumlich voneinander ab: Schreibtischarbeit passiert eben nicht in der Werkstatt. „Es geht um Hierarchien und Kontrolle“, betont Holtwick (Foto). „Da guckt buchstäblich jemand von oben, was unten im lauten Websaal passiert.“ Büroarbeit ist damit die bessere, vornehmere Arbeit. Die englischen Begriffe „White Collar“ (weißer Kragen) und „Blue Collar“ (blauer Kragen) zeugen noch heute davon: Die mit den weißen Kragen sitzen im Büro und machen sich nicht schmutzig.
Bis der Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Büros ankommt, dauert es allerdings noch einige Zeit. Gesundheitsfürsorge für Arbeiter gibt schon früher, schließlich sind es auch die gefährlicheren Jobs an den Dampfmaschinen der Industrie. „Die Frage 'Sitzt jemand gut?' ist weniger dramatisch als die Frage 'Überlebt jemand seine Arbeitsschicht?'“, veranschaulicht Holtwick.
Als die Sicherheitsmaßnahmen in der Produktion zu greifen beginnen und die Unfallhäufigkeit sinkt, können sich die Unternehmen stärker um die Büroarbeiter kümmern. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die Gesundheit der Mitarbeiter steht dabei zunächst nicht im Mittelpunkt. Vielmehr geht es um effizienteres Arbeiten. Eine bessere Sitzposition trägt dazu bei, dass die Beschäftigten konzentrierter arbeiten und weniger schnell ermüden. Pausen dienen dazu, anschließend besser weiterarbeiten zu können. Die positiven, langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit sind nur ein glücklicher Nebeneffekt, den die Maßnahmen mit sich bringen.
Erste Überlegungen und Untersuchungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz gibt es schon in den 1920er-Jahren. An Bedeutung gewinnt er aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Wirtschaftswunder. In den 1970er-Jahren gibt es immer mehr Büroarbeit. Die Berufsgenossenschaften und Krankenkassen entdecken die dortigen Angestellten als Zielgruppe, weil der Krankenstand und sogar die Berufsunfähigkeit wegen Rückenleiden eine immer größere Rolle spielen. Prävention ist also gefragt.
Die Themen, die heute noch aktuell sind, waren bereits damals bekannt. „Den höhenverstellbaren Stuhl gibt es schon lange“, sagt Bernd Holtwick. Auch ergonomische Schreibtische, die richtige Beleuchtung und das Problem der Lärmbelastung sind keine Entdeckungen dieses Jahrtausends. Allerdings ging es früher eher darum, sich beispielsweise an Lärm bei der Arbeit zu gewöhnen, als diesen abzustellen. „Wenn die Bergleute nach zehn Jahren unter Tage schwerhörig sind, ist das Klackern der Schreibmaschine als Problem dagegen albern“, gibt Holtwick ein Beispiel. In dem Maße, in dem sich der Lärmschutz in der Industrie verbessert, rückt der Lärmschutz aber auch im Büro mehr in den Fokus.
Eng verknüpft ist der Aufstieg der Büroarbeit mit einem Objekt, das Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde und ab 1876 vom US-Waffenhersteller Remington in Serie hergestellt wurde: die Schreibmaschine. Sie steht allerdings auch als Sinnbild für weniger qualifizierte und ausgelagerte Teile von Büroarbeit: Texte abtippen oder nach Diktat schreiben.
In Deutschland sind es vor allem Frauen, die tippen und als Schreibkräfte eher schlecht bezahlt werden. Der Büroleiter ist meist ein Mann, der diktiert und die Frauen beaufsichtigt, die in die Tasten hauen. Vorzug der Bürotätigkeit: Sie ist körperlich nicht so belastend wie beispielsweise Feldarbeit in der Landwirtschaft oder die Kohlenwäsche im Bergbau.
Die Menge an Text, die zu Informationszwecken als Rundbriefe oder als Geschäftskorrespondenz getippt und vervielfältigt werden muss, nimmt immer weiter zu. „Die Schreibmaschine trifft einen Nerv“, erklärt Holtwick. „Deshalb wird in Weiterentwicklungen investiert und die industrielle Fertigung vorangetrieben.“
Technologischer Fortschritt ermöglicht erst den Wust an geschriebenen, getippten und später gedruckten Texten. Papier beispielsweise wird nicht mehr aus Lumpen und erst recht nicht mehr wie im Mittelalter aus Tierhaut (Pergament) gemacht, sondern auf pflanzlicher Basis aus Cellulose. Das erlaubt im 19. Jahrhundert die kostengünstige Herstellung großer Mengen.
Ein Arbeitsgerät tritt ab den 1960er-Jahren seinen Siegeszug an und wird nahezu unentbehrlich: „Der Kopierer ersetzt Massenschreibereien“, sagt Bernd Holtwick. „Für 20 Kopien brauchte man vorher vier Leute, die je fünf Durchschläge schrieben.“
Ein weiterer Schritt, die Arbeit im Büro zu optimieren, betrifft die Arbeitsorganisation. Die Welle der Großraumbüros schwappt Anfang der 1970er-Jahre über den großen Teich. Beliebt sind sie nie, aber sie stehen für einen Trend: Büroarbeit wird der Normalfall.
Die Zahl der im Dienstleistungssektor Tätigen übersteigt laut Statistischem Bundesamt im Jahr 1972 erstmals die Zahl der Menschen, die im produzierenden Gewerbe arbeiten – im Jahr 2023 arbeiteten laut Statistischem Bundesamt sogar drei Viertel aller Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich. Als höherwertig gilt eine Angestelltentätigkeit indes längst nicht mehr.
Im Laufe der 1990er-Jahre halten die Computer in den Büros Einzug. Einen Einschnitt wie die Schreibmaschine bedeutet ihr Aufkommen aber nicht. „Der Computer wird eigentlich als eine Schreibmaschine mit Bildschirm betrachtet und verändert die Arbeitswelt in Büros nur wenig“, weiß Holtwick.
Auch der Arbeitsschutz beschäftigt sich vor allem mit technischen Fragen wie dem idealen Abstand zum Monitor, dem besten Winkel oder dem Lichteinfall. Arbeitsprozesse sind vorerst kein Thema. Erst in diesem Jahrtausend rückt bei der Bildschirmarbeit das dynamische Sitzen an höhenverstellbaren Schreibtischen als ein neues Thema in den Fokus. Das Augenmerk auf psychische Belastungen zu richten, ist eine noch jüngere Entwicklung.
Die Arbeitswelt ist vielfältiger und flexibler geworden. Zur Flexibilisierung gehört auch, dass die Differenzierung zurückgedreht worden ist, aus der die Büroarbeit ja ursprünglich hervorgegangen ist. „Mit Excel können viele arbeiten. Man braucht keine Spezialisten mehr, die die Rechenmaschine bedienen“, sagt Holtwick. „Heute ist es auch selbstverständlich, dass der Chef seine Mails selbst schreibt. Vor 30 Jahren war das undenkbar und wäre als Degradierung empfunden worden.“
Einen weit größeren Einfluss als das Aufkommen der Computer hat also die Erfindung des Internets. Plötzlich ist es möglich, sich einfach und über große Distanzen zu vernetzen, Daten auszutauschen und sogar gemeinsam an Texten und anderen Dokumenten zu arbeiten. Das mobile Arbeiten aus dem Homeoffice oder sogar von überall auf der Welt ist keine Utopie mehr. Gebrauch davon machen aber die wenigsten Unternehmen.
Für diese Veränderung ist eine Einwirkung von außen nötig: die Corona-Pandemie. „Die Bindung an den Ort Büro ist schwächer geworden“, sagt Holtwick. „Das wäre ohne die Pandemie wahrscheinlich auch passiert. Aber es hätte noch Jahre oder Jahrzehnte gedauert. Der Entwicklungsschub ist mit Händen zu greifen.“ Der stellvertretende Dasa-Leiter ist sich sicher: „Wir werden auch nicht wieder zurückkommen zu dem Punkt, dass man nur im Büro Karriere machen kann, weil dort die eigentliche Arbeit stattfindet.“
Der nächste Einschnitt in die Arbeitswelt ist indes bereits im Gange. Künstliche Intelligenz (KI) wird Veränderungen mit sich bringen, deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist – auch mit Auswirkungen auf die Büroarbeit. Holtwick erwartet einen Rationalisierungsschub: „Für Menschen werden Aufgaben wegfallen, die dann die KI erledigt.“ Wie bei allen einschneidenden Technologiesprüngen der Vergangenheit dürften stattdessen aber neue Aufgaben und Tätigkeitsfelder entstehen. Die Frage wird sein: im Büro oder anderswo?