Er wird keine Beliebtheitspreise gewinnen, wenn er in einen Betrieb kommt. Darüber ist sich Donato Muro im Klaren. Denn er wird meist erst dann beauftragt, wenn es sein für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sein muss. PRÄVENTION AKTUELL hat den „Sicherheitsingenieur NRW“ einen Tag lang im Raum Düsseldorf bei seiner Arbeit begleitet – in eine Schlosserei, in eine Zahnarztpraxis und in eine Shisha-Bar.
von Holger Toth
Trotz aller Bemühungen, die Betriebsverantwortlichen und Mitarbeiter mitzunehmen auf dem Weg zu einem sicheren und gesunden Arbeiten – die Werks- und Lagerhalle der Schlosserei ist menschenleer. Kein ungewohntes Bild für Donato Muro. Auch wenn es ihm anders lieber wäre.
Doch oft genug verschwinden die Beschäftigten in die Pause, zu Kunden oder auf Baustellen, bevor er kommt. Sie wollen sich ungerne von ihm auf die Finger schauen lassen bei der Arbeit. „Wir Sicherheitsingenieure sind nicht unbedingt beliebt“, schmunzelt der 39-Jährige.
Das Wort „Problemmacher“ ist ihm schon das eine oder andere Mal begegnet. „Weil wir Probleme erzeugen, wo vorher keine waren.“ Angeblich zumindest. Denn eigentlich sieht sich Muro in einer ganz anderen Rolle: als Problemlöser. Er will Betrieben und Unternehmen dabei helfen, den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verbessern.
Dafür muss er den Arbeitgebern aber erst einmal klarmachen, worin die gefährlichen und unsicheren Situationen überhaupt bestehen. Manche sind ganz offensichtlich, manche erschließen sich erst bei näherer Betrachtung. Nach zehn Jahren im Beruf und mehr als sieben Jahren, in denen Muro als „Sicherheitsingenieur NRW“ selbstständig tätig ist, hat er ein gutes Gespür dafür entwickelt.
Mit allen Sinnen geht Donato Muro seiner Aufgabe nach. Er riecht schweres Metall, das in der Luft liegt. Und vielleicht noch etwas anderes? Nikotin? Muro ist nicht zum ersten Mal hier, kennt den Betrieb. Und er weiß, dass der Geschäftsführer und Inhaber den Familienbetrieb schon lange führt und noch vom alten Schlag ist.
Der Firmenchef toleriert beispielsweise, dass seine Beschäftigten rauchen. Ansonsten, so sein Argument, würden sie ihm von der Stange gehen. In Zeiten des Fachkräftemangels kann sich das kein Betrieb erlauben. Also muss Muro in dem Punkt schweren Herzens ein Auge zudrücken. Oder vielmehr die Nase davor verschließen. „Aber so ist es natürlich schwer, mit Themen wie dem Gesundheitsschutz durchzudringen“, seufzt er.
Andere Dinge wird er dagegen ansprechen oder dem Geschäftsführer gegenüber in seinem Bericht dokumentieren, dafür macht er mit seinem Smartphone Fotos. In der Schlosserei darf er sich frei bewegen, dieses Vertrauensverhältnis hat er im Laufe der Zusammenarbeit aufgebaut.
Die Halle entpuppt sich als ein wahres Eldorado für den Sicherheitsingenieur. Ein Handwerksbetrieb ist nun mal kein klinisch steriles Labor. Ein Mitarbeiter ist inzwischen eingetroffen. Allerdings nur, um Material abzuladen. Beim kurzen Plausch fällt Muros Blick auf ein Anschlagseil, das seine besten Tage lange hinter sich hat.
Das Seil zieht er aus dem Verkehr. Und auch eine alte Trittleiter stellt er demonstrativ neben die Mülltonne: Die Leiter ist durchgerostet, noch dazu fehlt ein Fuß. Insgesamt eine viel zu wacklige Angelegenheit für den Arbeitsschützer.
Beim Material ist Muro nicht kompromissbereit. Zu groß ist die Gefahr, dass etwas ins Auge gehen könnte. Beim nächsten Fundstück im wahrsten Sinne des Wortes.
Arbeitssicherheit scheint den Handwerkern manchmal lästig zu sein, wie sich zeigt. Bei einer stationären Schleifmaschine fehlt eine Schutzabdeckung. Die ist ebenso abmontiert wie der zweite Griff einer Handschleifmaschine, die eigentlich mit zwei Händen benutzt werden sollte.
Muro bedauert, dass alle „ausgeflogen“ sind. Er würde den Beschäftigten gerne noch einmal die Wichtigkeit des Arbeits- und Gesundheitsschutzes anhand von Beispielen näherbringen. Denn das macht er immer sofort, wenn er als Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) oder auf Baustellen als Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator (SiGeKo) beauftragt ist und unsichere Situationen entdeckt.
Zwei Fragen spielen für den „Sicherheitsingenieur NRW“ bei den Betriebsbegehungen eine entscheidende Rolle: Aus welchen Tätigkeiten und aus welchen Betriebsmitteln können Gefährdungen entstehen? Und wie wahrscheinlich ist diese Gefährdung? Für die Beantwortung würde der gesunde Menschenverstand gepaart mit etwas Berufserfahrung reichen, meint Muro. Das Aber schiebt er hinterher: „Viele wissen gar nicht, wie sicheres Arbeiten geht. Weil man es ihnen nie gezeigt hat.“
Um mit seinen Themen zu den Beschäftigten durchzudringen, muss er den richtigen Ton treffen. Erst loben, dann kritisieren. „Wer sofort kritisiert wird, hört nicht mehr zu.“ In Handwerksbetrieben oder auf Baustellen müsse er zusätzlich aufpassen, dass sich die Männer dort nicht bevormundet fühlten. Methodisch hilft manchmal tatsächlich der eine oder andere schmutzige Witz, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Und anschließend ein freundschaftlich anmutender Rat: „Wenn ich du wäre, würde ich das vielleicht so machen – das ist sicherer.“
Tatsächlich ist natürlich nicht alles schlecht in der Schlosserei. Muro hat die positiven Entwicklungen der vergangenen Monate wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die längst abgelaufene Schleifscheibe war beispielsweise eine Ausnahme, die meisten anderen können bis 2026 benutzt werden.
Einigen Empfehlungen ist der Betrieb gefolgt und hat entsprechende Maßnahmen umgesetzt. So sind die Anschlüsse der Gasflaschen in Ordnung und dicht, der Verschluss besteht nicht mehr nur aus einer unsicheren, festgezogenen Ringmutter. Die Geschwindigkeit einer Falzmaschine für Bleche ist gedrosselt worden und die Gefahr für die Finger der Handwerker dadurch deutlich gesunken. Also Haken dran und auf zur nächsten Station an diesem Arbeitstag.
Bevor wir die Zahnarztpraxis erreichen, erzählt Donato Muro, wie sich das Standing der Sifa im Laufe der Zeit verändert hat. „Vor zehn Jahren wurde mit der Sifa noch der Kollege assoziiert, der bald in Rente geht.“ Das sei heute anders.
Neben dem nötigen Fachwissen müsse die Sifa Kommunikationsfähigkeit und Empathie mitbringen. „Es ist ein Teamsport geworden, bei dem Geschäftsführer und Beschäftigte mitziehen“, fasst Muro die Rolle der Sifa zusammen. Gemeinsame Lösungssuche statt Belehren und Meckern.
„Ärzte und Zahnärzte wissen eigentlich schon alles“, sagt Muro, als wir die Praxis mit angeschlossenem Dentallabor betreten. Er sieht sich eher als Erinnerungsinstanz, weil sie den Arbeitsschutz im hektischen Tagesgeschäft vergessen würden. Was an dieser Kundengruppe positiv sei: Bei Ärzten und Zahnärzten würde es nicht am nötigen „Kleingeld“ scheitern, um Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz auch umzusetzen.
Ganz offensichtlich zeigt sich das jedem Patienten, wenn er im Behandlungsstuhl Platz nimmt. Ergonomische Fragen nach rückengerechtem Arbeiten und Lichtverhältnissen stellen sich jedenfalls bei dem höhenverstellbaren High-Tech-Arbeitsmittel mit zuschaltbarer Leuchte keine – im Gegensatz zu so manchen Büroeinrichtungen in Verwaltungsgebäuden.
Im Labor gibt es eine Neuerung seit dem letzten Besuch: Zuvor arbeiteten die Beschäftigten an Tischen, die mit kleinen Absauggeräten ausgestattet waren. Nun schleifen sie in einem eingehausten Gerät.
Warum das ein großer Fortschritt ist, erklärt Muro im Video. Dabei fällt der Begriff PM 10. Die lange Erklärung: Es handelt sich um Partikel, deren aerodynamischer Durchmesser weniger als 10 Mikrometer beträgt. Die kurze Erklärung: Feinstaub.
Das Hauptaugenmerk in der Zahnarztpraxis liegt auf der Hygiene und dem Infektionsschutz. „Patienten können Bakterien und Viren übertragen“, veranschaulicht Muro. „Deshalb müssen Zahnärzte und Zahnarzthelfer schon bei einer einfachen Zahnreinigung Handschuhe, Mundschutz und eine Schutzbrille tragen.“
Bei operativen Eingriffen sei es wichtig, dass die Handschuhe dicht sind. Und danach gehe es darum, die mit Blut verschmutzten Handschuhe so auszuziehen, dass man sich nicht selbst kontaminiere. „Aber das klappt meistens, weil sie das schon in der Ausbildung regelmäßig gehört und gelernt haben. Das macht es für mich als Arbeitsschützer einfach, mit medizinischem Personal zu arbeiten.“
Die Ärzte und Zahnärzte selbst sind manchmal schwieriger. Denn sie werden ihrer Vorbildrolle im Arbeitsschutz nicht immer gerecht, wie ein Erfahrungsbericht untermauert:
Absolut ernst nimmt Donato Muro jedenfalls seinen Beruf. Neben dem praktischen Teil mit seinen Kontrollbesuchen macht das Verfassen von Berichten einen Großteil seiner Arbeit aus. „Die Hälfte der Zeit bin ich beim Kunden, also auf Baustellen, in Werkstätten oder petrochemischen Anlagen. Die andere Hälfte bin ich im Container oder im Büro und verfasse Berichte“, beschreibt er einen typischen Tag. Außerdem hält sich immer auf dem Laufenden, was neue Gesetze, Regeln, Vorschriften und Normen angeht.
Dank eines Bachelorabschlusses in Chemie- und Biotechnik kennt sich Muro bestens mit Chemikalien aus. Deshalb gefällt ihm auch nicht, was er beim Blick in Kühlschrank sieht. Der ist eigentlich für Medizinprodukte gedacht. In der Tür stehen allerdings Getränkeflaschen, im unteren Fach sind Lebensmittel deponiert. Das sollte nicht sein. Zumal dort auch gefährliche Chemikalien untergebracht sind. In erster Linie geht es dabei um ein kleines Fläschchen.
So gewissenhaft, wie Muro Betriebe durchleuchtet, wird er selbst nicht geprüft. „Leider nicht. Bei Ärzten und Rechtsanwälten gibt es dafür Kammern. Wenn du einen Friseursalon eröffnen willst, musst du deine Meisterurkunde vorlegen, sonst bekommst du keine Genehmigung“, sagt Muro. „Bei uns Sicherheitsingenieuren gibt es keine Aufsichtsbehörde.“
Aufsichtsbehörden wie Bauordnungsämter oder Gewerbeämter sowie Berufsgenossenschaften bringen Donato Muro aber indirekt Aufträge. Denn alle drei Kunden, die wir an diesem Tag im Raum Düsseldorf besuchen, hatten zuvor von diesen Institutionen die dringende Empfehlung erhalten, sich den Arbeits- und Gesundheitsschutz genauer anzusehen. Mit dieser Aufgabe haben sie Muro betraut. So auch eine Shisha-Bar in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs.
Bei der Shisha-Bar steht der Brandschutz im Fokus. Lob gibt es für die gut zugänglichen und geprüften Feuerlöscher sowie für den Fluchtweg im hinteren Bereich. Der ist nämlich frei, bei seiner vorherigen Visite standen noch Getränkekisten und Kartons im Weg. „Ordnung ist ohnehin ein Thema, weil Shisha-Bars schwach beleuchtet sind, um eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen“, führt Donato Muro aus. Das begünstigt SRS-Unfälle (Stolpern, Rutschen, Stürzen).
Die Kunststoffpflanzen im Eingangsbereich missfallen dem Kontrolleur dagegen. Sie stellen Brandlasten und noch dazu Stolperfallen dar. Am liebsten wäre Muro aus Brandschutzgründen der Verzicht auf derlei Dekoration. Oder zumindest die Verwendung echter Pflanzen, da diese weniger leicht brennen und noch dazu für ein besseres, feuchteres Raumklima sorgen würden.
Keine Shisha-Bar ohne Kohle. Die stellt selbstverständlich das größte Brandrisiko dar. „Wenn die glühende Kohle mal daneben fällt, hat sie die Energie, alles blitzschnell in Brand zu setzen“, sagt Muro der Sicherheitsingenieur.
Also müssen die Betreiber dafür sorgen, dass kein Feuer ausbricht. Möbel aus schwer entflammbarem Stoff sind daher Pflicht.
Die größte Gefährdung in Shisha-Bars ist allerdings unsichtbar und gasförmig. Die Rede ist vom Kohlenmonoxid. Der CO-Gehalt darf nicht zu hoch werden, denn das kann im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden. Zur Sicherheit der Mitarbeiter und Kunden müssen die Betreiber der Bars deshalb wissen, wie viele Pfeifen maximal gleichzeitig geraucht werden dürfen.
„Die Mehrheit der Betreiber kennt ihre Hauptgefährdung leider nicht“, hat Muro festgestellt. „Dabei muss man dafür gar nicht studiert haben.“ Zum Beispiel biete die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) dafür Formeln an, mit der sich die Zahl leicht berechnen lasse. „Die meisten Shisha-Bars verlassen sich aber einfach nur auf die Lüftungsanlagen – die sind aber kein Wundermittel“, so Muro.
Zur Kontrolle des Kohlenmonoxid-Gehalts der Luft sind Shisha-Bars außerdem verpflichtet, CO-Detektoren anzubringen. In der Düsseldorfer Bar hängen sie zwar an der Wand – allerdings zu hoch.
Die Gäste könnten also schon über gesundheitliche Probleme wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen klagen, bevor der CO-Melder Alarm schlägt – zu spät, um eine Kohlenmonoxid-Vergiftung zu verhindern, wie Muro im Video veranschaulicht.
Als Sifa ist Muro beauftragt, sich in erster Linie um das Wohl der Beschäftigten zu kümmern. Im Falle der Shisha-Bar ist Mitarbeiterschutz aber meist auch gleichbedeutend mit dem Schutz der Gäste. Wobei die Gäste selbst ein weiteres Risiko darstellen. „In Shisha-Bars gibt es häufig Konfliktpotenzial aufgrund der Klientel“, sagt Muro. Er bietet den Betreibern deshalb Schulungen nach der DGUV Vorschrift 25 „Überfallprävention“ an, wie man es etwa auch in Banken oder bei Geldtransporten durchführt.
„Als Angestellter möchte ich nicht Gefahr laufen, verprügelt zu werden“, sagt Muro. „Das muss der Arbeitgeber sicherstellen – nicht, indem er sich mit den aggressiven Kunden schlägt, sondern, indem er deeskalierend auf sie einwirkt.“
Bevor die Shishas fertig gebaut und zu den Gästen gebracht werden können, muss zunächst die Kohle durchglühen. Das geschieht im hinteren Bereich der Bar. Dort ist ein Raum mit einem Kaminofen. Währenddessen wird die Wasserpfeife mit dem Tabak vorbereitet, zum Schluss wird oben die durchgeglühte Kohle platziert.
Aber: In den Shisha-Genuss kommen die Gäste damit noch nicht. Vorher muss die Pfeife angeraucht werden, um den Tabak auf die erforderliche Temperatur zu bringen. Das Anrauchen durch das Personal ist allerdings verboten. Der Einsatz von Shisha-Luftpumpen sollte daher eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht überall. In der Düsseldorfer Bar schon, wie Muro beruhigt feststellt.
Die Besuche sind für diesen Tag beendet. Donato Muro kehrt in sein Büro zurück. Er wird sich an den Schreibtisch setzen und Berichte verfassen. Auch dabei will er nicht als Aufpasser rüberkommen, sondern als Partner der Unternehmen. Er will zeigen, dass Arbeitsschutz keine bürokratische Last ist, sondern dass sie einen echten Mehrwert bietet – für die Mitarbeiter, die gesünder und produktiver sind, und für die Unternehmen, die durch weniger Ausfälle und höhere Motivation profitieren.
Die gesundheitlichen Belange der Beschäftigten sollten für die Unternehmen genauso wichtig sein wie wirtschaftliche Ziele, findet er. Ansonsten drohe der Verlust von gutem Personal – was in Zeiten des Fachkräftemangels fatal sei. „Am Ende“, sagt Muro, „ist Sicherheit nicht nur eine Frage der Einhaltung von Vorschriften, sondern der Wertschätzung für die Menschen, die tagtäglich ihre Arbeit verrichten.“ Sicherheitsingenieure und Sifas sieht er dabei in einer wichtigen Rolle. Und er nimmt dafür auch in Kauf,…